Sonntag, 23. August 2015

Phantasieschlacht der Jahrtausende - Video und Bericht Erich Heeder


 
Ich war noch nie drei Tage nach einander auf einer Ausstellung gewesen, aber diese war schon etwas anderes. Hier gab es mehrere Perfomences hinter ein ander, die es so noch auf keiner Ausstellung gab !!  Denn Ausstellungen leben von bewegten Atmosphären. Dort gab es was zu sehen, was man so nie mehr sehen wird, und das macht eine Ausstellung aus. Die Fabrik der Künste hat sich hier an etwas gewagt, was so schnell nicht wieder kommt. Der Abschluß dieser Ausstellung wurde mit dem Live Konzert von Passierzettel abgeschlossen. Hannes Wienert der verschiedene Blasinstrumente spielt, ist schon öfters bei Passierzettel als Gastmusiker gewesen. Solche Improvisationen hat diese Fabrik der Künste noch nie gehört, und wird wohl so schnell auch nicht wieder hören. Im großen ganzen kann man behaupten, da ist dem Leiter der Fabrik der Künste, etwas tolles gelungen, den Hannes Wienert dort die
Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren !!   
 
                                                                                  

Montag, 3. August 2015

Künstler in der Gegenwart: "Mach einen Haufen Geld oder stirb"

SPIEGEL ONLINE "KULTUR":
Künstler in der Gegenwart: "Mach einen Haufen Geld oder stirb"
Ein Interview von Timo Feldhaus

Frei, kreativ, flexibel: Dieses Idealbild des Künstlers gilt im Spätkapitalismus längst für alle. Was macht dann noch einen Künstler aus? Die Soziologin Sarah Thornton hat mit Stars wie Damien Hirst über ihr Selbstverständnis gesprochen.
Die Figur des Künstlers hat auch in der Transparenzgesellschaft nichts an Faszination verloren. Er gilt als frei, individuell und nur seinen eigenen Regeln unterworfen. Was aber macht heute einen Künstler zum Künstler?
Nennen wir nicht den Unternehmer, der durch kreativen Geist die neusten technischen Produkte erschafft, einen Künstler? Was ist mit einem Ballkünstler wie dem argentinischen Fußballer Lionel Messi? Auch viele Aktienhändler sprachen nach der Wirtschaftskrise von ihrer Arbeit als einem künstlerischen Prozess, der die Welt durch Geldtransfers neu ordne.
Identität ist in der zeitgenössischen Form des Spätkapitalismus zu einer wandelbaren Kategorie geworden, an die wir unsere Leben anpassen müssen. Wenn der Mythos von Schöpfertum, Kreativität und Selbstbestimmung nun zu einem gesamtgesellschaftlichen Lebensstil und Ideal geworden ist, was bedeutet eine solche Existenz dann überhaupt noch?
Also: Was ist, im Jahr 2015, eigentlich ein Künstler? Eine Frage, die man am besten Sarah Thornton stellt, einer Soziologin, die mit Stars der internationalen Kunstszene gesprochen und ein Buch darüber geschrieben hat: "33 Künstler in 3 Akten" heißt es und ist gerade auf Deutsch erschienen.
Zur Person:
arah Thornton, geboren 1965 in Kanada, ist Wissenschaftlerin und Autorin. Sie studierte Kunstgeschichte und Kultursoziologie in Montreal und Glasgow. Ihre Doktorarbeit "Club Cultures" (1995) gilt als erste soziologische Untersuchung der Techno-Subkultur. Über zeitgenössische Kunst schrieb sie für Medien wie "The Economist", "The New Yorker" und "The Guardian". Kürzlich erschien ihr Sachbuch "33 Künstler in 3 Akten" (Fischer). Thornton lebt in London.

SPIEGEL ONLINE: Joseph Beuys hatte die Idee, dass jeder Mensch ein Künstler ist. Hat er sich getäuscht?
Thornton: Ja. Und ich bin überzeugt, dass er das auch selbst nicht glaubte. Wieso musste er sonst all die Mythen über sich selbst und seine Arbeit entwickeln? Das begann bereits mit der Erzählung seines Flugzeugabsturzes im Zweiten Weltkrieg, woraufhin ihn Tataren fanden, mit Fett einrieben und in Filz einpackten. Er überlebte - und diese Stoffe wurden später zum Ausgangspunkt seines künstlerischen Schaffens. Heute kann sich jeder Künstler nennen. Aber sind deine Eltern wirklich überzeugt, dass du einer bist? Es geht letztendlich darum, von einem sozialen Milieu als Künstler anerkannt zu werden. Und das ist gar nicht so einfach.
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen, man muss nur lange genug erzählen, dass man ein Künstler ist?
Thornton: Vor allem muss man es selbst glauben.
SPIEGEL ONLINE: Aber besteht nicht die Definition des Künstlers gerade darin, an sich, der Welt und seiner Rolle zu zweifeln?
Thornton: Die Mehrheit der Kunststudenten lernt heute, dass sie keine Künstler sind. Sie machen zwar einen Abschluss, aber es sind einfach zu viele für den Kunstmarkt. Es kommt auf das künstlerische Erweckungserlebnis an, wenn man beginnt, seine Rolle zu akzeptieren und sich selbst als Künstler zu definieren. Das muss nicht notwendigerweise im Studium stattfinden: Etwa, wenn man zum ersten Mal etwas verkauft oder in einer Galerie ausgestellt wird. Künstler zu sein, ist nicht einfach ein Job, sondern eine Identität.
SPIEGEL ONLINE: Aber heute muss doch jeder ein Künstler sein. Nicht nur im Kreativbereich, auch in Start-ups beruht das Einstellungskriterium darauf, offen, freigeistig, flexibel und eine superindividuelle Persönlichkeit zu sein, die regelmäßig unerwartete Dinge tut. Wie ist der Künstler zum Idealbild unserer Zeit geworden?
Thornton: Das, was Sie beschreiben, heißt aber noch lange nicht, dass nun alle Künstler sind. Das Feld der Kunst ist ein System, das nach eigenen Regeln an dafür vorgesehenen Orten stattfindet. Die Metaphern der Kunst werden adaptiert von anderen Welten, weil sie interessant und aufregend sind.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch vertreten Sie die These, dass Künstler heute vor allem ihre eigene Persönlichkeit als Instrument ins Spiel bringen, genauso wie Farbe und Pinsel. Seit wann ist das so?
Thornton: Das geht sehr weit zurück. Der Maler Gustave Courbet hat schon Selbstporträts erschaffen, die eigentlich Werbungen für ihn waren. Er hat sich als Künstler entworfen, als exzentrischer Verrückter mit wildem Haar. Die Unabhängigkeit von Mäzenen ging einher mit dem Aufkommen des bourgeoisen Salons im 18. Jahrhundert, dort wurde der Künstler dann zum Entrepreneur und erfand sich erstmals in der Rolle des Geschäfts- und Frontmanns. Marcel Duchamp fand später die gottselige Kraft, Alltagsdinge zu Kunst zu erklären. Ohne die Arbeit seiner Hände, ohne Farben und Leinwand. Das brachte die Aufmerksamkeit gezielt auf die Künstler-Persona.
SPIEGEL ONLINE: Duchamp sagte nicht, jeder sei ein Künstler, sondern alles könne Kunst sein. Hat sich seitdem nichts verändert?
Thornton: Diese Idee definiert noch das heutige Künstlerbild: Es kann eben nicht jeder aus einem Urinal ein "Fountain" machen, wie Duchamp sein Ready-made aus dem Jahr 1917 taufte. Wenn ich ein Urinal aus einem Sanitärgeschäft nehme, es in den Galerieraum stelle und meinen Namen draufschmiere, wäre es trotzdem nichts weiter als ein Urinal. Man muss in einer bestimmten Position sein, um etwas als Kunst zu deklarieren.
SPIEGEL ONLINE: Ist man deshalb geneigt, auch jemanden wie Steve Jobs einen Künstler zu nennen, weil es in allen Kunst- und Kulturproduktionsfeldern um überzeugende neue Ideen und deren Produkte geht?
Thornton: Das ist auf jeden Fall der Grund, warum konzeptuelle oder zeitgenössische Kunst so populär ist: Weil unsere Gesellschaft immer konzeptueller wird. Was ist ein Flakon Parfüm? Der Duft ist natürlich sehr wichtig. Aber ohne das kulturelle Konzept, die Verpackung, die Idee dahinter, würde es niemals funktionieren.
SPIEGEL ONLINE: Woher wissen Sie eigentlich, dass Sie selbst keine Künstlerin sind? Immerhin haben Sie ein Buch geschrieben, das eine gewisse Theatralik schon im Titel behauptet: "33 Künstler in 3 Akten".
Thornton: Ich habe Kunstgeschichte studiert und das Erste, was ich dabei gelernt habe, ist, dass ich keine Künstlerin bin. Ich entspreche dem Mythos nicht - und vor allem: Ich habe es niemals von mir behauptet. Das ist der Grund.
SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie für Ihr Buch eine Struktur in drei Akten gewählt?
Thornton: Nachdem ich hundert Leute interviewt hatte, habe ich festgestellt, dass drei Themen immer wieder auftauchen: Politik, Partnerschaft und Handwerk. Bei der Politik ist die Frage stets: Bist du ein Künstler, bist du ein Aktivist, ein Lehrer oder ein Geschäftsmann? Ich diskutiere das vor allem mit und bei Damien Hirst und Jeff Koons, da sie aktuell die wesentlichsten und bekanntesten Figuren in diesem Zusammenhang sind. Auch das Handwerk funktioniert als Merkmal der Herabsetzung des Künstlers: "Das ist ja nur Handwerkskunst oder Design."
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern geht es auch um das Thema Partnerschaft?
Thornton: In dem Teil, der mit Partnerschaft überschrieben ist, werden vor allem feministische Fragen verhandelt. Es gilt etwa zu fragen, warum es so wenige Künstlerinnen, vor allem ältere, schaffen, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Außerdem habe ich mehrere Künstlerpaare besucht, die eine Ehe führen oder eine Familie gegründet haben, und trotzdem nie aufgehört haben, Künstler zu sein. In dem Buch kommen oft Carroll Dunham und Laurie Simmons vor, deren Tochter Lena Dunham wiederum die bekannte Serie "Girls" produziert hat.
SPIEGEL ONLINE: Und was eint diese drei Akte?
Thornton: Grundsätzlich geht es mir immer um die Frage: Was macht den Künstler zum Künstler? Viele meiner Gesprächspartner fanden die Frage nicht sehr erheiternd, denn sie sind es gewohnt, nur über sich selbst zu sprechen.
SPIEGEL ONLINE: Ist es überhaupt möglich, die Mythen der Kunst zu entlarven?
Thornton: Kunst braucht ja Mythen. Die Frage ist eher, an welche Mythen wir heute noch glauben können. Als ich Ai Weiwei gefragt habe, was die Rolle des Künstlers sei, erzählte er mir eine lange Geschichte über seinen Vater und wie dieser ein Staatsfeind wurde. Ich fragte ihn, ob das für seine Definition des Künstler wesentlich sei. Er machte eine Pause und sagte: "Nein, ein Künstler ist der Feind der allgemeinen Wahrnehmung." Was wiederum ein romantischer Mythos aus der Avantgarde ist.
SPIEGEL ONLINE: Es ist ein Klischee.
Thornton: Richtig. Allerdings erlaubt es Ais politische Situation in China, ohne Grundrechte und ohne Meinungsfreiheit, durchaus, einen solchen Mythos darzustellen. Hätte ein Künstler aus New York das gesagt, hätten wir es ihm wohl kaum abgenommen.
SPIEGEL ONLINE: Heute geht es ständig um den Markt, um Geld, Messe-Ergebnisse und Auktionsberichte. Nicht mehr um einzelne Kunstwerke.
Thornton: Es gibt zwei Möglichkeiten für einen Künstler auf die erste Seite einer Zeitung zu gelangen: Mach einen Haufen Geld oder stirb. Oder töte jemanden, das würde auch helfen - passiert aber nicht sehr oft. Es lohnt sich, einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, welchen Wert Geld als Kriterium für Headlines in den Medien hat. Für Künstler ist das zudem sehr gefährlich. Denn es existiert kein anderer so effektiver Zerstörer von Glaubwürdigkeit wie Profit. Wenn ein Künstler zu viel Geld verdient, läuft er Gefahr, zu einem Designer von Luxusprodukten zu werden. Unser Glaubenssystem in der Kunst beruht aber darauf, dass es etwas gibt, was höher zu bewerten ist als der reine Geldwert.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass Künstler magische Kräfte haben?
Thornton: Rein technisch würde ich sagen: Nein. Andererseits: Charisma ist extrem hilfreich. Ein Gutteil der Kunstausbildung besteht darin, neben seinem Werk zu stehen und es möglichst gut zu erklären. Die Rolle des Magiers spielt besonders Marina Abramovic sehr gut. Mit ihrer Performance "The Artist Is Present" hat sie meine These, dass Künstler heute ihre Persönlichkeit für ihre Arbeit benutzen, unterstrichen. Diese Art ist übrigens, auch in der Interpretation durch Beuys, der sich in der Figur des Schamanen gefiel, der die Gesellschaft heilt, nirgends so relevant wie in Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Ich muss ehrlich sagen: Am Ende lässt mich dieses Gespräch traurig zurück. Die Kunst ist ruiniert. Sie hat all ihren Zauber verloren. Es ist dasselbe System wie Politik geworden: Vorne steht ein Frontmann, meistens ein Mann, der gewählt werden will. Er muss seine Idee mit Inhalten füllen, sonst klappt es nicht. Charisma ist aber sehr hilfreich. Durch gute Werbung muss er Menschen überzeugen, an ihn zu glauben. Ist das nicht sehr traurig?
Thornton: Für mich ist es wichtig zu erklären, wie das System wirklich funktioniert. Wenn das am Ende jemanden desillusioniert zurücklässt, finde ich das schade. Ich sehe in der Figur des Künstlers weiterhin das größte Potenzial, weil er die Fragen der Gesellschaft auf seinem Körper austrägt. Und in seinem System Fragen stellt, die uns im besten Fall alle angehen.